Mittwoch, 02.08.2023

Was darf´s denn sein? Schlauchmagen oder Magenbypass

Viele Patientinnen und Patienten kommen zu uns in die Sprechstunde mit einem festen Wunsch nach einem bestimmten der beiden Verfahren, Schlauchmagen und Magenbypass. Wir gehen auf einen solchen Wunsch gerne ein, lassen uns aber auch vorher erklären, worauf die Wahl denn beruht. Sehr oft erhält man dann beim Schlauchmagen die Antwort „da wird nicht so viel verändert“. Die Kehrseite der Medaille, dass beim Schlauchmagen der Effekt oftmals auch nicht ganz so groß ist wie beim Bypass, ist den Patienten oft unbekannt. Wenn die Patientin oder der Patient dann nach sorgfältiger Aufklärung bei seiner Entscheidung bleibt, ist das in Ordnung.

Was sind aber die Unterschiede zwischen den beiden Verfahren, nach denen sich vernünftig eine Entscheidung für das eine oder das andere fällen lässt?

Zunächst einmal kann man festhalten, dass der Bypass bei bestimmten Patientinnen und Patienten nicht mit ausreichender Sicherheit möglich ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Menschen größer als 1,8 m sind. Da beim Bypass der Dünndarm aus dem Unterbauch bis fast an das Zwerchfell verlagert werden muss, um an den kleinen Essmagen heranzureichen, ist hier manchmal einfach die Strecke zu lang. Spannung auf der Naht darf aber auf keinen Fall auftreten und damit scheidet dann der Bypass aus. Das gilt umso mehr, wenn das Fett ganz überwiegend im Bauch liegt und weniger an Hüften und Oberschenkeln. Diese Faktoren müssen in die Überlegung eingehen.

Daneben ist der Bypass bei besonders adipösen Menschen kaum möglich. Bei uns fängt der kritische Bereich bei einem BMI von ca. 55 an, bei 60 ist er sicher überschritten. Der Bereich dazwischen ist Ermessenssache.

Ein dritter, seltenerer Grund einen Schlauchmagen zu bevorzugen kann in Begleiterkrankungen liegen: Beim Morbus Crohn, einer Dünndarmerkrankung, die bei vielen Patientinnen und Patienten im Laufe des Lebens mit Verlust von Darmanteilen einhergeht, würden wir nicht gern am Darm operieren, wenn es nicht unbedingt nötig ist, weil die Operation dann einen Schub der Erkrankung auslösen kann. Auch bei gänzlich anderen Erkrankungen, bei denen aber eine sehr starke Abhängigkeit von bestimmten Medikamenten besteht, deren Spiegel zudem noch in einem engen Bereich liegen muss, würden wir uns zumindest vor einer Operation mit den Spezialisten für die Behandlung der entsprechenden Erkrankung abstimmen, bevor wir uns für einen Bypass entscheiden. Man kann allerdings die Konzentrationen der allermeisten Medikamente im Blut bestimmen, so dass man dann über eine Dosiserhöhung eine Anpassung vornehmen kann. In der Wirklichkeit ist uns so ein Fall allerdings noch nie begegnet.

Neben den Gründen, die sehr nachdrücklich für die Anlage eines Schlauchmagens sprechen, gibt es natürlich auch solche, die man dagegen anführen muss. Dabei wäre vor allem der Rückfluss von Mageninhalt in die Speiseröhre, der sich als Sodbrennen oder seltener als Heiserkeit bemerkbar macht, zu erwähnen. Da der Schlauchmagen bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Patientinnen und Patienten so ein Problem erst entstehen lässt, halten wir es nicht für eine gute Entscheidung einem Patienten, der über Sodbrennen klagt, einen Schlauchmagen zu empfehlen. Man muss aber auch erwähnen, dass nicht alle Adipositaszentren diese Auffassung teilen. Es gibt durchaus auch die Meinung, dass ein vorbestehender Reflux durch den Schlauchmagen sogar aufgehoben werden kann, weil beim Gewichtsverlust der Druck im Bauchraum nachlässt.  

Soweit also zunächst zum Schlauchmagen. Gilt für den Bypass nun einfach das Gegenteil? Selbstverständlich mit kleinen Ausnahmen. Wenn die Patientin oder der Patient sehr groß oder der BMI sehr hoch ist, ist der Schlauchmagen die Methode der Wahl, der Bypass kommt praktisch nicht in Frage.

Es gibt aber einen Bereich zwischen dem BMI von 35 und 55, in dem im Prinzip beide Verfahren möglich sind. Was dann? Auch da gibt es Regeln. Einige (Reflux, Darmerkrankung) wurden schon erwähnt. Die wichtigste andere Situation ist der Diabetes Typ II. Hier ist auf jeden Fall der Bypass überlegen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass beim Bypass das Hormon GLP-1 im Blut ansteigt, beim Schlauchmagen aber nicht. Die neuen Diabetes-Medikamente, von denen die Speerspitze das viel diskutierte Semaglutid (Ozempic®) ist, sind letztendlich nichts anderes als dieses Hormon, in eine als Medikament applizierbare Form gebracht.

Die Einstellungen der Patientinnen und Patienten sind oft dadurch gekennzeichnet, dass sie den Schlauchmagen für eine kleinere und ungefährlichere Operation halten. Das stimmt in gewisser Weise, aber die seltene Komplikation einer Nahtundichtigkeit unter dem Zwerchfell beim Schlauchmagen erfordert das gesamte Arsenal von Gastroenterologie, Chirurgie, die dann auch oft offen und nicht in Schlüssellochtechnik durchgeführt werden muss, und Intensivmedizin. Etwas Ähnliches gibt es beim Bypass praktisch nicht. Dazu kommt, dass die Bypass-Patienten seltener einen Zweiteingriff benötigen als die Patienten, die einen Schlauchmagen haben. Ich schlage also vor, den Operationsaufwand und den Krankenhausaufenthalt ebenso wie die Arbeitsunfähigkeit gleich zu bewerten.

Nach vielen vergleichenden Untersuchungen scheint der Bypass ein etwas besseres Gewichtsergebnis, insbesondere auf Dauer, mit sich zu bringen. Das mag im Einzelfall umgekehrt sein, aber man muss bedenken, dass der Bypass ja einen Teil des Darmes ausschaltet, somit die Aufnahme der Nahrung aus dem Darm ins Blut verringert, während der Schlauchmagen nur über die Verringerung der Nahrungszufuhr wirkt. Die muss beim Schlauch dann auch dementsprechend streng sein, was bedeutet, dass Patientinnen und Patienten mit einem Schlauchmagen, der Bypass-Resultate erbringen soll, definitiv weniger essen als ihre Tischnachbarn mit Bypass. Wir erleben auch immer wieder, dass nach einer Umwandlung eines Schlauchmagens in einen Bypass die Patientin oder der Patient erstaunt fragt, ob das ernstgemeint ist, dass er jetzt plötzlich so problemlos essen kann. Die Tatsache, dass dann ein Stück Dünndarm für die Nahrungsaufnahme fehlt, kompensiert das.

Weiter oben wurde schon gesagt, dass die neuen Medikamente den Hormoneffekten des Magenbypass abgeschaut sind. Da liegt nun ein weiterer Vorteil für den Bypass. Er hat unter Umständen viel stärkere hormonelle, neurologische und Stoffwechselwirkungen als der Schlauchmagen. Diese sind nicht im Detail bekannt und wir haben den Eindruck, dass sie auch nicht bei allen Patienten vorkommen, dass sie aber bei denen besonders intensiv sind, die gute Langzeiterfolge haben. Die Magenverkleinerung als alleinige Maßnahme bei der Schlauchmagenbildung hat solche intensiven Effekte auf den Stoffwechsel eher nicht. Wir sind aber weit davon entfernt, diese Zusammenhänge im Detail zu kennen.

Ein letzter Punkt muss noch genannt werden und die Tatsache, dass dieser am Ende aufgeführt wird, heißt nicht etwa, dass er unwichtig wäre. Ganz im Gegenteil. Alle Patientinnen und Patienten, bei denen ein Anteil des Dünndarms aus der Nahrungspassage ausgeschaltet wurde, müssen lebenslänglich mindestens eine Vitamin- und Eisentablette und drei Tabletten Calcium pro Tag einnehmen. Wer das für unmöglich hält, kann keinen Bypass kriegen. Außerdem kann man nicht sicher mit der Pille verhüten.

Das scheint, wenn man um jeden Preis sein Gewicht verringern will, ein kleines Problem zu sein, wird aber oft zu einem fast unüberwindlichen, wenn die Patienten erst einmal 50 kg abgenommen haben. Die Vernachlässigung dieser Nahrungsergänzungen hat aber nach Jahren katastrophale Folgen für die Gesundheit.

Ich hoffe, in die Frage nach Schlauchmagen oder Bypass etwas Licht gebracht zu haben. Letztlich rate ich aber auch dringend dazu, diese Dinge mit dem behandelnden Arzt zu besprechen. Es wird aber hilfreich sein, für ein solches Gespräch ein solides Vorwissen mitzubringen.