Adipositas und Begleiterkrankungen

Anlässlich des 8. Adipositastages beantwortet Priv.-Doz. Dr. med. Ansgar Röhrborn Fragen
rund um das Thema "Begleiterkrankungen der Adipositas".

 

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In praktisch allen Ländern, die nicht mehr von Hungersnöten bedroht  sind, hat sich als Kehrseite dieses gewaltigen Fortschritts das Problem der Adipositas entwickelt. Dies gilt sogar für Schwellenländer wie beispielsweise Indien, in denen eine Oberschicht unbegrenzten Zugang zu jeglicher Art von Nahrung  hat, während arme Menschen sehr wohl noch hungern müssen. Es scheint, als drohe weltweit sofort die Überernährung, wenn die elementaren Nahrungsbedürfnisse gestillt sind.

In Deutschland besteht diesbezüglich selbstverständlich die gleiche Situation. Insbesondere im Verlauf der letzten 30 Jahre hat sich eine zunehmende Häufung und damit zunehmende Bedeutung der Adipositas, der Fettleibigkeit, entwickelt, eine Folge von Überernährung und Bewegungsmangel.

Diese Veränderung ist sowohl für die einzelnen Menschen als auch für die gesamte Gesellschaft mit erheblichen Risiken und Kosten verbunden. Im Gefolge der Adipositas entwickeln sich zahlreiche Erkrankungen, die unmittelbar oder mittelbar auf diese Ursache zurückgehen. Am leichtesten verständlich ist die Überlastung der Gelenke, die oft bereits zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr einen Ersatz durch ein Kunstgelenk erforderlich macht. Gleichermaßen ist die Wirbelsäule belastet, auf deren unterem Anteil ein großer Teil des überflüssigen Gewichtes lastet. Bandscheibenvorfälle und Verschleiß der Wirbelsäulengelenke sind die Folge. Die Bauchspeicheldrüse ist mit der Versorgung des adipösen Organismus überfordert. Der Bedarf des Körpers an Insulin ist zu hoch und das Gewebe reagiert auf das Hormon nicht mehr angemessen. Dadurch, nicht aber durch einen Mangel an Insulin, kommt es zum sogenannten Typ-2-Diabetes-mellitus, zur adipositasbedingten Zuckerkrankheit. In ihrer Folge, aber auch durch andere krankhafte Stoffwechselmechanismen ausgelöst, verfettet die Leber, vergrößert sich und wird in ihrer Funktion zunehmend beeinträchtigt.

Da die Fettansammlung nicht nur im Unterhautgewebe, sondern auch innerhalb des Bauchraums zu finden ist, werden durch den Druck der fettgepolsterten Eingeweide die Atembewegungen des Zwerchfells behindert. Der große Fettpanzer verhindert außerdem die Atembewegungen des knöchernen Brustkorbs, so dass auf diese Art und Weise die Lungenfunktion des adipösen Menschen erheblich herabgesetzt wird. Eine Erhöhung des Blutfettgehaltes führt darüber hinaus zu Folgeerkrankungen an allen Blutgefäßen, was sich insbesondere an den Herzkranzgefäßen bemerkbar macht und schließlich zu Minderdurchblutung des Herzmuskels, Herzinfarkt und Herzmuskelschwäche führen kann.

Neben diesen Krankheitsmechanismen, die recht einfach zu verstehen sind, spielen aber auch andere, offenbar komplexere Entwicklungen eine Rolle. So reagieren adipöse Patienten leichter als andere Menschen mit asthmatischen Beschwerden, was bedeutet, dass sich ihre Bronchien zusammenziehen und dem Ein- und Ausatmen einen größeren Widerstand entgegensetzen.

Einen anderen Einfluss auf die Atmung nimmt das zentrale Nervensystem bei adipösen Menschen. Fast nur bei diesen kommt es zur Erkrankung der sogenannten Schlafapnoe. Dies bedeutet, dass der Patient im Schlaf, zunächst ohne es zu merken, aufhört zu atmen, bis eine kritische Sauerstoffkonzentration im Blut unterschritten ist. Erst dann setzt die Atmung wieder ein und der Organismus wird wieder adäquat mit Sauerstoff versorgt. Diese Situation führt zum Absterben von Gehirnzellen und muss zu einer eingreifenden Therapie führen. Die betroffenen Patienten müssen nachts mit einer Maske, die die Atmung mit Hilfe von Überdruck unterstützt, schlafen. Diese Behandlung ist weder bequem noch angenehm, aber wichtig, damit die Patienten die Tagessymptome ihrer Erkrankung, nämlich inadäquate Müdigkeit und die Folgen des zunehmenden Absterbens von Gehirnzellen vermeiden können.

Ebenso wenig wie die Entwicklung der Schlafapnoe ist das erhöhte Tumorrisiko von Adipositaspatienten ohne weiteres zu erklären. Dennoch ist es bekannt, dass insgesamt für Adipositaspatienten ein ca. 1,5-faches Risiko der Entwicklung eines bösartigen Tumors besteht, wenn man sie mit normalgewichtigen Patienten vergleicht. Dieses Risiko ist unterschiedlich stark erhöht für unterschiedliche Organe. Besonders ausgeprägt ist es beim Gebärmutterkrebs der Frau, andere Tumorarten sind weniger stark betroffen, aber: alle Tumoren kommen bei adipösen Menschen häufiger vor.

Die zahlreichen beschriebenen Begleiterkrankungen führen dazu, dass die Lebenserwartung der Adipositaspatienten im Durchschnitt um etwa 12 Jahre geringer ist, als die normalgewichtiger oder leicht übergewichtiger Menschen.